30/09/2010

ESTHER ROTH

Antwort auf den Beitrag „Ist die freie Improvisation am Ende?“ von Thomas Meyer
Dissonanz September 2010

Der Beitrag stellt sich als unheilvolles Potpourri dar, vergeblich suche ich nach einem vertieften Gedanken oder einer spezifischen Recherche.
Der Fokus ist sehr eng, beschränkt sich auf ein paar Events. Das befremdet, ist doch gerade das Thema, freie Improvisation, ein weites und weit verzweigtes Gebiet.
Seit den Entstehungsjahren Ende der 50er-Jahre und bis heute wurde und wird viel darüber diskutiert und geschrieben.
Und sie findet heute statt und wird in Zukunft praktiziert werden! Die Art der Repräsentation hat sich allerdings entwickelt und verändert. Man findet sie halt nicht unbedingt an den marktorientierten und etablierten Veranstaltungen.
Die Poesie der freien Improvisation hat es in sich: stellt man sie vor die Tür, kommt sie durchs Fenster wieder herein!

Im Beitrag finden sich etliche Ungenauigkeiten, welche freie ImprovisatorInnen nicht gut vertragen!

Zum Beispiel:
„Die Musik allein ist nicht verständlich, sie muss vermittelt werden.“ Seite 5 unten

Musik ist eine universale Sprache, die problemlos verstanden werden kann, wenn nicht verstandesmässige Blockaden im Weg stehen.
Das „Vermitteln“ versucht mit aussermusikalischen Mitteln Sand ans Meer zu tragen und kommt meistens unbefriedigend und ungllücklich daher. Musik muss nicht verstanden, sondern gefühlt werden. Eine künstlerische Aussage passt nicht aufs Serviertablett, sie lädt ein zu vertiefendem Fühlen, Wahrnehmen und Denken. Und sie ist im Sinne des lateinischen Begriffs „schön“! Die Herausforderung ist den HörerInnen zumutbar!

Zum Beispiel:
„Es ist schon interessant festzustellen, dass die Repräsentation des Musikalischen in den Hintergrund tritt.“ Seite 6 unten

Wenn die Absenz von Klangphänomenen das Geschehen prägt, sind wir im Bereich der „Stille“. Stille, theatralische Gesten und scheinbar aussermusikalische Handlungen verstehen wir seit Cage ausdrücklich als „Repräsentation des Musikalischen“, und zwar zentral und im Vordergrund. Diese und Anderes mehr sind Phänomene im Zeitablauf.

Zum Beispiel:
Werner Klüppelholz wird zitiert: ...“die freie Improvisation sei vielleicht die höchste der Kunstformen.“
Der Berichteschreiber dazu: „Emphatisch überhöhte Hilflosigkeit.“ Seite 7

Klüppelholz’ Aussage lädt ein zu einem genaueren und erweiterten darüber Nachdenken und verdient keineswegs eine solche schnöde Aburteilung.

Esther Roth

MARTIN HÄGLER

Vielleicht ist das jetzt völlig deplatziert, eben weil ich gerade bemerken muss, dass sich bei mir nichts geändert hat. Etwas ist immer noch genau gleich, wie als ich Kind war!

Da sah ich nachts aus meinem Kinderbettli nur das erleuchtete Schlüsselloch, sonst nichts als Schwärze. Das viel versprechende Licht von der anderen Welt, damals die Welt der Erwachsenen, oder meist meiner Eltern, lag hinter dem Schlüsselloch. Meine Sehnsucht nach diesem Licht war gross und deshalb fixierte ich andauernd diesen Lichtpunkt, der aus unerfindlichen Gründen plötzlich nicht mehr da war. Ich machte die Entdeckung, dass sobald ich diesen Lichtpunkt fixierte, er sofort verschwand. Angestrengt stierte ich auf dieses Schlüsselloch. Doch da war nichts! Nur Schwärze! Kaum liess ich hingegen meinen Blick ein wenig schweifen, begann das Licht knapp daneben wieder zu leuchten. Aber vielleicht hat das gar nichts mit Musik zu tun?!

Später wurde ich allerdings vorallem dank diesem “knapp daneben schauen“ schliesslich Musiker. Ich improvisiere sehr gerne. Eigentlich kann ich kaum was Anderes. Natürlich gehöre ich zu den Alten, aber inzwischen musste ich feststellen, dass es auch einige junge Musikerinnen gibt, die knapp daneben schauen. Nun habe ich doch die Vermutung, dass das alles etwas mit Musik zu tun haben könnte. Nach anfänglichen Zweifeln werde ich nun um so überzeugter weitermachen.

Danke für die inspirierenden Mitteilungen und dass ihr an mich gedacht habt und ich freue mich ganz speziell, dass wir noch leben.

Herzliche Grüße

knapp daneben
Martin Hägler

29/09/2010

MATTHIAS SPILLMANN

Als Jazzmusiker mit offenem Geist (Selbstdeklaration) zur einer Schnittmenge von Jazz und Improvisierter Musik gehörend blicke ich sozusagen vom Rand auf die improvisierte Szene. Eine seltene Perspektive. Mit Interesse habe ich den Artikel von Thomas Meyer und die zahlreichen Reaktionen gelesen.

Auch mich beschlich gelegentlich schon das Gefühl, dass 2010 ein Stil «improvisierte Musik» existiert, dem ein feiner Modergeruch anhaftet. Das empfinde ich jedoch gar nicht als weiter beunruhigend, die Verwesung hat ja bereits eingesetzt. Wie von zahlreichen Diskussionsteilnehmern vor mir bereits dargelegt, hat jedoch die Haltung der freien Improvisation nichts an Aktualität, geschweige denn an Breitenwirkung verloren. (Nebenbei kann, was noch viel weniger bekannt ist, auch Jazz eine Haltung sein.)

Einen für mich interessanten Punkt möchte ich jedoch noch ansprechen: Im selben Abschnitt wird z.B. moniert die Improvisation sei ja jetzt Studienfach an Hochschulen und gehöre deshalb nicht mehr zum «Underground» oder zur «Avantgarde» (per Definition der einzige Ort, wo «echte» Kreativität stattfindet?), sondern zum «Mainsteam» um wenig später mangelnde gesellschaftliche Relevanz zu beklagen. Was für ein Widerspruch! Mir soll mal jemand, der es zu wissen glaubt, erklären, wo sich der Underground befindet und Mainstream ist wohl die Volksverdummung, die diverse Fernsehstationen und Gratiszeitungen täglich betreiben. Dort findet tatsächlich weder Improvisierte Musik, noch Jazz, noch zeitgenössische Musik statt, aber es gibt zum Glück noch andere gesellschaftlich relevante Orte. Bei der stark segmentierten modernen Gesellschaft sind die Begriffe Mainstream und Underground wohl kaum mehr ausreichend.

Ähnliche Gedankensprünge zum «Ende der Geschichte» kann man übrigens bei Kulturpessimisten in verschiedensten Musik- und Kunstsparten beobachten. Tatsächlich ist die improvisierte Musik so breit und vielfältig wie nie zuvor und der gesellschaftliche Einfluss deshalb grösser denn je. Allerdings gibt es niemanden mehr, der die Deutungshoheit beanspruchen könnte. Liegt da vielleicht der Kern des Problems?

Daneben glaube ich, dass sich das Gebot des «Widerstands» (gegen das «System»?) der «50+» Generation oder jeder selbsternannten Avantgarde vom Gebot der Stunde zur Ideologie und letztlich zur Pose gewandelt hat. Mitglieder jüngerer Generationen werden wohl Widerstand leisten, wenn sie es für nötig halten, nicht immer wird das die ältere Generation aber auch erkennen, geschweige denn anerkennen.

Matthias Spillmann

28/09/2010

MARC UNTERNÄHRER

Als Musiker und Mitinitiant des Mullbaus in Luzern bin ich erstaunt über Thomas Meyers Behauptung, die freie Improvisation sei am Ende. Das entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Dankbar bin ich über die vielen Reaktionen meiner Vorgänger, die zu Recht und ausführlich darauf hinweisen, dass die jüngere Szene im Artikel total vernachlässigt wird. Seit fast drei Jahren organisieren wir in Luzern frei improvisierte Konzerte, leider noch immer unsubventioniert. Bei uns hört man Working Bands und ad-hoc Gruppen, die ältere sowie die jüngere Generation, internationale, nationale und lokale Grössen, Etablierte und Studierende, noisige Stream-Of-Consciousness-Bands und Miniaturen zirkelnde MelodikerInnen, elektronischen Minimalismus und Free Jazz. Ausserdem finden monatlich frei improvisierte Konzerte für Kinder statt. Nach den Konzerten wird bei uns unter den MusikerInnen zusammen mit dem Publikum sehr häufig Kritik geübt und debattiert. Gerade der Umgang mit Melodik oder auch Groove ist ein oft diskutiertes Thema und die Wiedereingliederung dieser in freie Kontexte ist ein Prozess, der interessant zu beobachten ist, natürlich mit mehr oder weniger gelungenen Ergebnissen. Trotzdem, um ein Zwischenfazit nach weit über hundert Konzerten zu wagen: Ich bin erstaunt, wie hoch die Qualität des Gehörten insgesamt ist, so unterschiedlich die einzelnen Standpunkte auch sein mögen.

Ich gebe Thomas Meyer recht, dass der Diskurs über diese Formen von Musik häufig vernachlässigt wird. Liegt das an der Sprache? Tatsächlich fehlt den ProtagonistInnen oft die Begrifflichkeit. Doch womit hängt das genau zusammen? Haben sich vielleicht nicht eher die TheoretikerInnen von dem Geschehen zu sehr entfernt? Ist die (akademische) Theorie ebenso überfordert, mit den neuen Tendenzen Schritt zu halten, wie die Musikmachenden überfordert sind mit den Etiketten, die ihnen sogleich angebracht werden? Zeichen dafür sind, dass sich MusikerInnen zieren, über ihre Musik zu sprechen und MusikjournalistInnen absurderweise behaupten, die freie Improvisation sei am Ende. Das befreit sie immerhin von der Anstrengung, neugierig zu bleiben und Konzerte zu besuchen, die sie möglicherweise überraschen könnten. Die MusikerInnen werden zum Glück nicht aufhören, über ihre Musik nachdenken zu müssen. Auch wenn sie manchmal Mühe mit Formulierungen haben.

Zu meiner Zeit am Konservatorium fand die einzige ästhetische Auseinandersetzung mit Musik im Improvisationsunterricht statt. Musikstudierende lernen diese Begrifflichkeit nicht und wollen sich später durch eine intellektualisierte Sprache nicht eingrenzen lassen. Eine fundierte Berichterstattung und Auseinandersetzung - und damit Anerkennung - fehlt in den Medien ebenso fast völlig. Die MusikerInnen reflektieren jedoch sehr wohl genauestens, was sie produzieren, das zeigt auch dieser Blog. Der Austausch ist extrem wichtig. Allerdings nicht unbedingt auf Symposien, die meistens von der von Thomas Meyer portraitierten Alterschicht einberufen und abgehalten werden. Wohin die Akademisierung zum Beispiel des Jazz, der neuen komponierten Musik oder neuerdings der Volksmusik im schlechtesten Falle führen kann, haben wir gesehen. Improvisierende MusikerInnen jeden Alters wollen sich nicht in einen Elfenbeinturm zurückziehen, sondern suchen die Bühne und das Publikum. Das ist, wie auch Thomas Meyer weiss, schwierig genug. Dass die Musikwissenschaft in der Wahrnehmung von neuen Tendenzen immer hinterher hinkt, liegt in der Natur der Sache. Schlimm wird es, wenn die Musikwissenschaft - beziehungsweise in diesem Fall die Kulturberichterstattung - der Musik sagt, dass sie an einem Endpunkt angelangt ist und die Kulturpolitik diese Thesen dankbar aufnimmt. Wenn die Schubladen zu sind, ist da kein Platz mehr für Neues.

Und doch: Die Freie Improvisation ist inzwischen als Unterrichtsfach an den Musikhochschulen verankert. Thomas Meyer meint, dass sie so ihren Underground-Bonus und ihre Ursprünglichkeit verspielt hat. Warum ist nicht ganz nach zu vollziehen. Der zitierte Urban Mäder beschreibt sehr schön, warum Improvisation ein wichtiger Teil der musikalischen Ausbildung ist (ergänzend wäre hinzuzufügen, dass sie eine ideale Wahrnehmungsschule darstellt). Dabei geht es nicht allein darum, dass alle Teilnehmenden zu besseren MusikerInnen werden. Sie sollen wiederum das Interesse und das Rüstzeug erhalten, in ihrem späteren pädagogischen Tun an den Musikschulen Improvisation mit einbeziehen zu können, wie das die Pädagogik seit den Siebziger Jahren fordert, um Kinder und Jugendliche ideal fördern zu können. Aus diesem Grund gibt es mittlerweile auch Improvisationskurse an den Pädagogischen Hochschulen. Dieser Anspruch ist ebenfalls hoch, allerdings nicht zu verwechseln mit dem künstlerischen Anspruch auf einer Bühne. Auf alle Fälle ist daraus nicht abzuleiten, dass diese Kunst ihre Notwendigkeit verloren hat. Im Idealfall schaffen wir uns so mittelfristig ein neues Publikum.

Neue stimmliche und textliche Projekte gibt es übrigens einige. Die Einflüsse sind zum Beispiel Slam Poetry, Rap oder die junge zeitgenössische Literatur. Zu nennen wären unter anderen das Projekt Bern Ist Überall, Michael Stauffer in diversen Projekten und Hörspielen zum Beispiel mit Hans Koch oder Hans-Peter Pfammatter, oder Jürg Halter alias Kutti MC, der mit Julian Sartorius, Fredy Studer, Philipp Schaufelberger und Vera Kappeler auftritt. Der Pop-Bereich (unter anderen) ist vielen tatsächlich ein nahes Bezugsfeld, und die Pop Musik wird von ImprovisatorInnen bereichert (Julian Sartorius hat bis vor kurzem eine eigene Farbe in die Band von Sophie Hunger gebracht). Ausserdem wäre es eine Betrachtung wert, wie die Theaterarbeit oder die Kunstszene die frei improvisierte Musik bereichert und umgekehrt durch sie bereichert wird (ich erinnere zum Beispiel an das Duo Luigi Archetti/Bo Wiget).

Mir scheint, die Schweizer Szene ist in den letzten Jahren zusammen gerückt und dadurch so spannend wie nie. Die Qualität zählt, nicht der musikalische Background oder die Sprache. Das Wissen über verschiedene Musikstile - und dadurch der Respekt vor diesen – wächst. Auch der Austausch über die Landesgrenzen nimmt zu. Auch hier gibt es viele junge, kontinuierliche Beispiele: Die Projekte von Paed Conca mit libanesischen MusikerInnen, das Ensemble Rue Du Nord mit dem Projekt Swiss Balkan Creative Music, die vielen in den letzten Jahren durch das Luzerner Atelier in Chicago ausgelösten Kollaborationen und viele mehr.

Das sind alles Bereicherungen, die diese Form von Musik für mich lebendig erhalten und weiterführen und die nicht „kompromisslerisch“ sind. Vielleicht finden junge MusikerInnen neue Antworten auf Fragen, die die Generation der 60-jährigen für sich schon beantwortet hat? Die Dogmen der frei improvisierten Musik gehören in das letzte Jahrtausend, inzwischen ist sie viel freier geworden.

Das zeigt sich an dem nächsten Missverständnis: Denn Thomas Meyer unterstellt der freien Improvisation, den Aufbruch in unbekannte Gefilde hinter sich zu haben. Als Beleg dient ihm ein Konzert dieses Jahr mit Peter Brötzmann, der „tatsächlich sogar schön geformte Linien“ von sich gab. Abgesehen davon, dass die Diskussion, ob Brötzmann überhaupt spielen kann (oder Anthony Braxton swingen, Derek Bailey über Harmonien spielen, Picasso perspektivisch zeichnen...) ein veraltetes Klischee ist, das mich langweilt, ist Brötzmann ein schlechtes Beispiel. Wer Ohren hatte zu hören, hat diese Seite von ihm schon viel früher wahrgenommen, spätestens auf seinen Solo-Aufnahmen. Eine schwere Operation vor ein paar Jahren und ein damit verbundener gesünderer Lebenswandel mögen das ihrige dazu beigetragen haben. Thomas Meyer sieht das wohl als Rückschritt, doch wäre ich enttäuscht von Brötzmann, wenn er 40 Jahre lang gleich klingen würde. Die Zeiten haben sich gewandelt und gewisse Kämpfe sind ausgefochten. Auf den Zeitgeist pfeifend geht er seinen Weg weiter, wer will es ihm verübeln, bleibt neugierig und kraftvoll, wählt seine Mitmusiker, die mit ihm mithalten können und die oft ein gutes Stück jünger sind als er und klingt besser denn je.

Als Epilog auch ein Konzerterlebnis: Zufälligerweise am gleichen Wochenende wie der STV/Lucerne Festival Abend mit improvisierter Musik im Südpol fand im kleinen und wegen grossem Publikumsaufmarsches aus allen Nähten platzenden Mullbau ein von Christoph Erb kuratiertes Festival statt. Ausschnitte: Nach Hans-Peter Pfammatters lyrischem Klavierspiel hat Flo Stoffner ein laut-verzerrtes flächiges Solo-Gitarren-Set hingelegt, die junge Bieler Szene war vertreten mit Vincent Membrez und Lionel Friedli im qoniak Groove-Duo, direkt nach Hildegard Kleebs fast klassisch-modernen Klavierakkorden zu Pelayo Arrizabalagas Turntables. Davor war noch ein langer dramaturgischer Bogen des Elektronik-Duos strøm zu hören, einer veritablen Working Band. Mein persönliches Highlight war ein - wenn man so will - Generationen übergreifendes Trio mit Hans Koch, Christian Weber und Hans-Peter Pfammatter. Das klang nie altbacken, denn gerade die grosse Erfahrung dieser Musiker führte sie zu einer äusserst modernen, formal und inhaltlich überzeugenden Musik, mit Underground-Bonus. Es hatte alles, was Thomas Meyer vermisst. So ein Festival hätte vor 15 Jahren definitiv anders geklungen.


Marc Unternährer

TOM GSTEIGER

nur ganz kurz und ohne grossen feinschliff:
mein gefühl: ist das nicht eine überreaktion einer letztlich sehr kleinen und nicht sehr relevanten szene? - das meiste, was mir aus diesem musikalischen bereich in letzter zeit zu ohren gekommen ist, kam mir doch recht steril bzw. klischiert vor (das streben nach extremer abstraktion ist für mich auch eine form von klischee).
- wirklich spannende ansätze, wo ich mich einklinken konnte, kamen von musiker/innen, die ebenfalls stark in anderen musikalischen bereichen tätig sind und darum ganz unterschiedliche einflüsse in die impros einbauen. - aber alles in allem finde ich, dass die improvisation nach wie vor im jazz am besten aufgehoben ist - ich finde es einfach ergiebiger, mitzuverfolgen, wie sich jemand innerhalb eines vorgegebenen rahmens (das muss mitnichten ein konventionelles song-thema sein) improvisatorisch entfaltet. - grosse improvisatoren einer jüngeren sind für mich brad mehldau, hans feigenwinter, mark turner, tobias meier, colin vallon, usw.

liebe grüsse,
tg.

27/09/2010

BENOIT MOREAU

A propos de l'article " Ist die freie Improvisation am Ende?" de Thomas Meyer, paru dans Dissonance, #111

Monsieur Meyer,

Je ne vous connais pas personnellement mais votre article me donne l’impression de lire les lignes d’un musicologue à temps partiel, qui publie des pensées sans fondement ni référence et dont l’avis ne peut être digne d’une personne dont le métier a justement été reconnu par le passé.

Votre attaque – que je taxerais de facile, superficielle et qui met surtout en lumière votre ignorance quant au sujet traité – s’adresse à de très nombreux musiciens suisses de plusieurs générations qui n’avaient pas besoin de ça : leur activité débordante malgré le peu de reconnaissance obtenue témoigne de leur engagement de chaque instant, et lire une pareille description de la musique improvisée en Suisse dans une publication officielle fait très mal.

Concernant vos multiples considérations sur la mort de cette musique et plus particulièrement sur la fin de son développement musical et sonore, il n’y a pas grand-chose à discuter puisque vous ne semblez simplement pas intéressé à assister aux innombrables concerts organisés ou alors vous n’êtes pas capable d’ouvrir vos oreilles. Votre analyse vous enfonce dans les ornières du conservatisme rétrograde où ce qui a de la valeur appartient nécessairement au passé.

Par contre, votre maigre argumentaire selon lequel « la pertinence sociale » de cette musique ne serait plus d’actualité me laisse croire avec horreur que votre ignorance dépasse le domaine musical : si vous décrétez que les raisons sociales qui ont fait vivre cette musique dans les années 70 ont disparues et que, dès lors, cette musique n’a plus de cheval de bataille, vous faîtes non seulement une grave erreur mais vous trahissez également une certaine affinité pour les valeurs libérales et commerciales qui ont plongé la culture dans la situation dramatique qu’elle vit aujourd’hui (la culture est un divertissement, la culture doit être rentable et c’est ce qui détermine sa qualité, etc.). Les revendications artistiques et le contexte social ont évidemment évolué ces dernières décennies et l’engagement que manifestent chaque jour les musiciens pratiquant l’improvisation trouve aujourd’hui une place des plus importantes et des plus louables dans le combat contre la dictature de l’économie libérale dans l’art.

Si vous ne comprenez pas que le monde d’aujourd’hui a un besoin historique d’une lutte pour un système social, économique et artistique plus juste et équilibré, et que vous ne percevez pas que la musique improvisée s’est toujours investie dans cette lutte et continue à le faire, vous ne disposez définitivement pas des outils nécessaires à une personne active dans la politique culturelle et ne pouvez assumer votre statut.

Vos déclarations sont une menace contre la diversité culturelle étant donné, comme chacun sait, les répercutions qu’elles peuvent engendrer au niveau politique. Vous avez, sur un coup de tête (ou alors, s’il y a eu réflexion, sur une analyse totalement fausse), mis en danger la profession et l’activité artistique de plusieurs milliers de personnes en Suisse.

Monsieur Meyer, vous avez certainement l’occasion de revoir votre jugement en considérant cette fois la réalité du monde de la musique improvisée et en vous basant sur les arguments de ces multiples réactions. Vous pouvez encore récupérer par votre bonne foi une erreur qui fera date dans votre carrière. Si des débats publics sont organisés pour discuter de ce scandale, je vous prie, Monsieur Meyer, d’y prendre part. Pour votre honneur et par respect pour la communauté d’artistes que vous avez négligé et méprisé.

Cordialement

Benoît Moreau

25/09/2010

JACQUES DEMIERRE

Jacques Demierre_A propos de l'article " Ist die freie Improvisation am Ende?" de Thomas Meyer, paru dans Dissonance, #111.

Cet article de Thomas Meyer est dangereux. Sous le prétexte de la provocation, il apporte sa contribution au mouvement de restauration d'une culture Mainstream que l'on peut observer dans toute l'Europe et dont l'ambition est finalement d'offrir des objets culturels facilement consommables et formatés pour le marché et pour les institutions.
L'intention provocative d'un tel article aurait pu être intéressante dans un autre contexte politico-culturel, les musiciens improvisateurs n'ayant pas davantage tendance que leurs collègues non-improvisateurs à remettre en question leurs pratiques musicales. Mais dans le contexte actuel, ce texte pose le problème de la séparation entre le pouvoir culturel et la presse.
Thomas Meyer est à la fois journaliste écrivant dans Dissonance (revue éditée par
l'Association suisse des musiciens et la Conférence des hautes écoles de musique suisses) sur la mort de la musique improvisée en tant qu'expression musicale autonome, et, simultanément, il est membre du Conseil de Fondation de Pro Helvetia, qui évalue, puis, selon les cas, accepte ou refuse les requêtes soumises, entre autres, par des musiciens pratiquant la musique improvisée. Cette position "berlusconienne" est inacceptable. Elle est d'autant plus inacceptable que certains responsables de dossiers au sein de la fondation, s'avouant incompétant face à la musique improvisée, se réfère à ce texte pour fonder leurs décisions.
Cette collusion entre un organisme culturel et la presse est évidemment au service de
l'orientation que prend Pro Helvetia depuis plusieurs années déjà. Nous sommes en train de passer, et le rythme s'accélère, d'une fondation qui devrait être un service public garant de la diversité des expressions artistiques et culturelles, à une entreprise de production vendant des produits label suisse calibrés, et qui met de plus en plus l'accent soit sur des projets intégrant des musiques folkloriques suisses, accompagnant ainsi le réflexe de repli identitaire qui existe déjà au niveau de la société, soit sur des "events" qui permettent de donner à l'étranger, à travers des productions artistiques facilement consommables, une image policée
et politiquement correcte de la Suisse.
Le texte de Thomas Meyer rejoint également la position de Pro Helvetia quand il fait la différence entre musique improvisée et improvisation. La première aurait cessé d'exister selon lui, la seconde faisant partie maintenant de l'éducation de base. Malheureusement la méconnaissance est profonde autant chez Pro helvetia que chez Thomas Meyer. La musique improvisée n'est pas un style, encore moins une technique. Elle est précisément non-idiomatique et non-référentielle. Elle se renouvelle à travers chaque musicien, à travers la singularité de chaque individu. La musique improvisée de l'ensemble anglais AMM dans les années 60 n'a rien à voir avec par exemple The Art of Memory de John Zorn/Fred Frith des années 90, ou encore avec les improvisations du trompettiste Peter Evans, More is More, parues en 2006 (pour prendre à dessein des exemples non-suisses). La musique improvisée meurt à chaque concert, à chaque nouveau concert, elle renaît. Elle est en constant changement, en perpétuelle transformation. Et elle se fait précisément l'écho, à travers
chaque musicien, des transformations artistiques, philosophiques et technologiques qui se manifestent au niveau de la société.
Mais cette méconnaissance de la réalité de la musique improvisée est aussi preuve d'une incompétence grave. Thomas Meyer est l'un des rares en Suisse à écrire régulièrement sur la musique improvisée, et pourtant, non seulement il dénigre le travail actuel de la génération des plus de cinquante ans dans son texte, mais encore, il passe totalement sous silence l'engagement des générations suivantes qui ont rejoint depuis longtemps ces musiciens "historiques" pour défendre et promouvoir sans distinction d'âge cette pratique improvisée. Unexemple récent: vendredi 17 septembre 2010, le Insub Meta Orchestra réunissait pour un concert plus de 45 musiciens improvisateurs, toutes générations confondues, à l'AMR,
Genève. Que faisait Thomas Meyer ce soir-là?
Ecrire aussi que l'enseignement actuel de la musique improvisée dans les Hautes écoles suisses a condamné à mort cette pratique relève d'une méconnaissance historique des rapports entre académie et underground. Les écoles de jazz qui sont apparues il y a des dizaines d'années aux USA n'ont par exemple jamais empêché le développement des aspects les plus radicaux de cette forme artistique. Les conservatoires qui enseignent depuis longtemps la musique contemporaine écrite n'ont jamais affecté négativement le renouvellement de la musique contemporaine. Il y a eu coexistence avec ces différentes formes d'art et il y aura coesistence avec la musique improvisée. Cette incompétence journalistique est à mon avis aussi liée au problème de l'incompétence constatée à maintes reprises dans les décisions prises par le Conseil de fondation de Pro Helvetia concernant la musique improvisée: Je pose la question de la rigueur dans l'évaluation des requêtes: que répondre à une responsable de projet qui vous avoue son incompétence face à la musique improvisée mais qui signe néanmoins une lettre refusant une requête avec une argumentation particulièrement faible et très mal étayée? Et qui brandit de plus le texte de Thomas Meyer comme caution intellectuelle?
Je pose également la question du fonctionnement administratif de Pro Helvetia face à la musique improvisée et aussi celle de l'évaluation culturelle de cette même musique. Qui avons-nous en face de nous, nous musiciens improvisateurs? J'ai eu l'occasion de rencontrer il y a quelques mois une responsable de la musique improvisée au sein du Conseil de fondation de Pro Helvetia, l'entretien a été révélateur: un tel manque de connaissance concernant la musique improvisée et son histoire, et une telle inculture en matière de musique expérimentale m'ont paru alors et me paraissent toujours inconcevables avec une position de responsable culturel. Thomas Meyer est-il alors instrumentalisé par Pro Helvetia?
Les arguments rencontrés dans le texte de Thomas Meyer pour affirmer la mort de la
musique improvisée sont en gros les mêmes que ceux avancés par Pro Helvetia dans les cas de refus de requête. Manque d'innovation et caractère non-actuel de la musique en question.
Mais que veut dire innovatif pour Pro Helvetia, que veut dire actuel pour Thomas Meyer? Morton Feldmann aurait sûrement vu ses requêtes refusées par manque d'innovation sur le long terme. Une musique qui surfe sur les modes est-elle plus actuelle que celle d'un improvisateur qui creuse une voie singulière?
Enfin, je pense qu'il y a un problème à juger une musique par son mode de fabrication. Une musique peut-elle être morte du simple fait qu'elle est improvisée? Certaines formes de musique improvisée sont mortes, bien sûr et heureusement, mais la musique improvisée n'est pas morte en tant que génératrice de musiques inouïes. Les musiciens improvisateurs ont d'ailleurs peut-être eu tort de revendiquer l'improvisation comme caractéristique essentielle de leur pratique, au point que leur musique en porte le nom. L'improvisation n'est pas le contraire
de l'écriture, la musique improvisée n'est pas le contraire de la musique écrite. Le temps de la composition peut pour certains musiciens-compositeurs être égal et simultané au temps de la réalisation. Le vieux débat de la E- et U-Musik est-il finalement toujours d'actualité?
En guise de conclusion à ma réaction à cet article, je propose à Thomas Meyer et à Pro Helvetia, une rencontre, sous forme d'états généraux de la musique improvisée, où seraient débattues ouvertement les problématiques liées à la musique improvisée en Suisse et à son soutien par les instances culturelles.

Jacques Demierre

BERTRAND DENZLER

Au sujet de l’article «Ist die freie Improvisation am Ende?», Dissonance N° 111

Cher Thomas Meyer,

Si l’on considère la «musique improvisée libre» comme un mouvement artistique, on est en droit de se poser la question de savoir s’il vit encore ou non. Sauf que la tâche n’est pas aisée: quels sont les critères permettant de constater la mort d’un mouvement musical? Il suffit d’essayer avec d’autres musiques pour s’apercevoir que la mission est difficile. Quoi qu’il en soit, les arguments avancés dans cet article ne sont pas recevables, comme le montrent clairement les réactions des musiciens. Non, ce mouvement artistique, s’il existe, n’est pas mort.

En soi, le fait d’annoncer à tort la mort d’un mouvement artistique n’est pas grave, même lorsque cette annonce s’appuie sur un diagnostic erroné (le supposé cadavre bouge encore, son cœur bat, il n’est même pas endormi ou dans le coma - mais le médecin l’a examiné de très loin en ne prélevant qu’un tout petit échantillon de son organisme). Le problème, c’est que ce texte est publié, qui plus est dans une revue spécialisée, et qu’il a donc un impact politique. Or, de ce point de vue, il est très néfaste, car il donne aux subventionneurs des arguments (qu’ils attendaient avec impatience?) pour diminuer leur maigre soutien à cette musique.

Pour le reste, je trouve que cet article pose - volontairement ou non - quelques questions intéressantes. Que veut dire «libre» dans ce contexte? L’improvisation est-elle un outil, une fin en soi, une manière d’être, une culture ou tout cela à la fois? Quels sont les tabous et les totems de la musique improvisée? Et bien d’autres encore, qui exigeraient des recherches approfondies.

Je trouve dommage que vous n’ayez pas profité de cet article pour poser des questions de fond et que vous vous soyez contenté de nous faire part de la mort de votre intérêt pour une musique que vous avez manifestement appréciée par le passé, donnant à ceux qui veulent lui couper les vivres des arguments pour l’enterrer définitivement - même si ce n’était pas le but du jeu.

Bertrand Denzler

CHRISTOPH GALLIO

Kurz: Kunst ist Leben und Leben ist Kunst. Freie Improvisation ist Leben und umgekehrt. Ich glaube (nicht im dogmatischen Sinne) an die Frei Improvisierte Musik, welche keine Stilrichtung, sondern eine Haltung ist. Sie erneuert sich von Aussen und in sich selbst immer wieder von Neuem, lässt sich nicht zügeln, kontrollieren, beherrschen, und ist immer im Fluss. Frei Improvisiete Musik ist Prozess, und erlaubt dem musizierenden und teilnehmenden Menschen die Freiheit (inklusive Scheitern) zu leben/erleben, welche jedem Menschen dieses Planeten zusteht, aber nicht gewährt wird. Frei Improvisierte Musik ist Forschung.

Christoph Gallio

PIERRE THOMA

Cher Thomas Meyer.

La lecture de votre article "Dissonnance" "Ist die freie Improvisation am Ende?" m'inspire quelques inquiétudes.

Vous postulez que l'improvisation libre a fait son temps, affirmant ainsi implicitement que toute forme d'expression doit trouver sa fin à un moment donné. Le danger d'un postulat, lorsqu'il est insuffisamment étayé, est qu'on y risque le dogmatisme, comme celui d'affirmer que l'improvisation libre, puisqu'on la pratique depuis quelques décennies, est arrivée à son Endpunkt. Ne pourrait-on imaginer que par son essence-même, cette musique-là est loin d'avoir épuisé son histoire?

Vous citez en impulsion de votre article deux personnalités dont je connais bien l'intelligence musicale, Alfred Zimmerlin et Jacques Demierre. Je n'ai pas assisté à ce concert, mais fonder un article sur cette expérience, en y ajoutant des exemples comme celui de l'évolution du travail de Irène Schweizer, me paraît bien léger. Rien de ce que j'ai pu entendre ces dernières années, entre autres par les deux musiciens pré-cités, ne me permet d'imaginer que nous sommes parvenus à la fin de l'improvisation libre.

Vous abordez la problématique du discours théorique sur l'improvisation. Comment intégrer le discours musical de l'improvisation libre à celui de la musique codifiée que nous avons appris au conservatoire? Vous le savez, chaque domaine possède son appareil conceptuel, et vouloir à tout prix intégrer l'un dans l'autre, c'est nier ce qui justement a fait l'histoire de l'improvisation libre. Il a fallu l'intelligence d'un Michel Thévoz pour intégrer le discours de l'art brut dans celui de l'art tout court (étant bien entendu que la démarche de ces artistes-là ne se compare pas ainsi à celle des musiciens en question).

A propos langage, au-delà de la question de ce qu'est l'improvisation, qu'est-ce que l'improvisation libre? Poser plus fondamentalement cette question aurait pu permettre d'asseoir votre article sur une base plus solide.

Avec mes meilleurs messages
pierre thoma

HANS-JÜRG MEIER

Eher Fragen als eine Replik zum Artikel „Ist die freie Improvisation am Ende?“ von Thomas Meyer (dissonance 111 – September 2010)

Ich teile das etwas mulmige Gefühl, welches Thomas Meyer eingangs seines Dissonance-Artikels „Ist die freie Improvisation am Ende?“ über das Konzert vom 22. Juni 2010 beschreibt. Ein ähnliches Erlebnis machte ich zufälligerweise am selben 22. Juni 2010 in einem „Atelierkonzert“ in Basel. Ebenfalls waren hochkarätige Improvisatoren der älteren und jüngeren Generation am Werk (Michel Doneda, Christoph Schiller, Jonas Kocher und Gaudenz Badrutt). Sehr schöne Musik, gut gehört und klar geformt, war zu hören, seltsam überraschungslos indes. Den Eindruck, hier habe sich ein allgemeiner Kanon, wie die Freie Improvisation zu klingen habe, durchgesetzt und werde quasi perfekt ausgeführt, teilte ich überraschenderweise mit einem Gesprächspartner, ebenfalls ein erprobter Improvisator.

Wie Thomas Meyer schreibt, ist eine Diskussion und ein Nachdenken über den aktuellen Zustand der freien Improvisation höchst erwünscht. Aus meiner Warte des Komponisten, der seit geraumer Zeit improvisiert, diese Form des Musizierens schätzt und - wie im „Festival für zeitgenössische improvisierte und komponierte Musik“ in den Jahren 2000-05 in Basel thematisiert - keinen grundsätzlich qualitativen Unterschied zur komponierten Musik sieht, nehme ich das Phänomen des „Stillstandes“, der Akademisierung, einer Anpassung an den „Mainstream“ der Musik auch in komponierten Werken wahr. Müsste demnach von einem allgemeineren Phänomen gesprochen werden? Wieviel und wo wird darüber gesprochen oder geschrieben? Ist es eine Art Stilbildung, die man auch als Folge von Vermarktungsstrategien und Förderkriterien bezeichnen könnte? Ist vielleicht die Frage im Titel des Artikels von Meyer falsch gestellt? Oder sind vielleicht die Erwartungen an die sich selbst so bezeichnende „freie“ Improvisation so hoch, dass das Phänomen „Endpunkt“ dabei umso mehr auffallen mag? Anders gesagt: lenkt der Begriff „frei“ (ebenso wie der Begriff „Avantgarde“) heute in eine falsche Richtung?

Wie dem auch sei, bedenkenswert ist auf einer ganz anderen Ebene die Reaktion von einflussreichen Förderstellen, die offenbar aufgrund eines einzigen Artikels ihre Unterstützungspolitik überdenken. Denn Thomas Meyer äussert in seinem Artikel eine persönliche Meinung, die er mit vielen Fragezeichen und grosser Skepsis gegenüber sich selbst behutsam zu formulieren versucht. Und: er fordert gar explizit den Widerspruch ein. Wie anfangs geschildert, teile ich ein gewisses, denkwürdiges Erlebnis mit dem Autor, aber ich finde es unhaltbar, daraus Schlüsse für eine Förderpolitik zu ziehen. So gesehen, ist das Thema schlicht zu kurzsichtig betrachtet, ist zu einseitig an sogenannter Innovation oder zahlenmässig grossem Aufmarsch von Publikum orientiert. Die Szene der freien Improvisation in der Schweiz verdient eine Pflege, vielleicht gerade heute eine intensivere, um den Handlungsspielraum nutzen zu können, frisch und mutig in die Zukunft zu schreiten.

Hans-Jürg Meier, 24. September 2010

PAED CONCA

Zum Text von Thomas Meyer
Ist die freie Improvisation am Ende?

Lieber Thomas

Meine und auch die jüngere Generation ist bei dir offensichtlich nicht vorhanden. Die frei improvisierenden MusikerInnen in der Schweiz bestehen etwa aus sieben Menschen. Darunter mein lieber Freund und in vielen Formationen der letzten Jahre Mitmusiker Hans Koch. Wenn du dir nur schon die Mühe gemacht hättest, zu schauen mit wem der so in den letzten Jahren regelmässig aufgetreten ist, wärst du neben meinem Namen auch auf eine ganze Menge MusikerInnen gestossen, bei denen es sich ganz sicher lohnt, genauer hin zuhören. Und Hans ist nur ein Beispiel. Daneben stört mich in deinem Artikel die Reduktion auf die Schweiz. Musik lebt für mich gerade auch vom Austausch. Um Grenzen schere ich mich im realen wie im philosophischen Sinne einen Dreck. Das gilt natürlich auch für steife Regeln in der Musik. Du bleibst mir mit der ganzen Abhandlung viel zu theoretisch und steif. Musik lebt gerade davon, immer alles musikalische auch im Moment der Interpretation in Frage zu stellen. Das ist wenn schon musikalische Freiheit und nicht das festlegen von Regeln, was frei und nicht frei sein soll. Ich unterstelle dir, dass du deine Neugierde verloren hast und nur schaust, was die "alten" machen.
Seit Jahren bin ich international tätig und ich erachte das als sehr wichtig! Ich spiele auch in der Schweiz und ich spiele auch in der WIM. Des weiteren ist die WIM nicht allein die freie Szene oder? Und wie kommst du um Himmels willen darauf, dass sich gerade diese Musik etabliert hat? Weil es irgendwie manchmal möglich ist, etwas Geld dafür heraus zu pressen? Neben der WIM und ein paar Festivals findet alles im Untergrund statt. Schau dich doch einmal um!

Beste Grüsse

Paed Conca

24/09/2010

DANIEL STUDER

Lieber Thomas,

Todgesagte leben länger…
Freie Improvisation zu fassen scheint mir überaus schwer, jeder improvisierende Musiker hat seine eigene Vorstellungen, was bereichert und zu einer Vielfalt führt. Auch aus diesem Grund dürfte es schwierig sein, dass die Freie Improvisation aussterben wird. Neue Ideen und Bedürfnisse an die Musik fliessen immer ein und dies wird weiterhin so sein und somit auch diese Art von Musik am Leben erhalten.
Wir müssen aber zwischen Stil und Ausdrucksform unterscheiden. Ein Beispiel: der „Free Jazz“ der 60er Jahre wurde von den Musizierenden selbst überholt, aber die Freie Improvisation als Ausdrucksmittel existiert weiter und wird noch lange neue Stile entwickeln. Stile, Stilrichtungen sind zeitliche Erscheinungen, sie sterben aus. Wer sich an einem Stil festklammert wird dessen „Aussterben“ (vielleicht) bedauern und wird den Anschluss und den Zugang zu neuen Formen nicht finden.

Dein Artikel spricht sehr viele Themen an. Vieles habe ich mit grossem Stirnrunzeln gelesen, oft mit Unbehagen über die Ungenauigkeiten und Unkenntnisse. Ich möchte aber nur an einem Ort nachhacken, der mir besonders am Herzen liegt, und von dem viele Probleme der Freien Improvisation ausgehen:
„…die gesellschaftliche Relevanz (der freien Improvisation) scheint doch verloren zu sein.…“
Da kommt natürlich die Frage: was heisst gesellschaftlich relevant?
Auf jeden Fall kann ich nur konstatieren, dass die Bedeutung der Freien Improvisation in der Gesellschaft (noch) nie von grosser Bedeutung war. Die ImprovisatorInnen die nun teilweise im Pensionsalter sind, haben diesbezüglich zwar sehr gute Vorarbeit geleistet (SUISA, Konzertreihen, Etablierung von öffentlichen Geldern, Schulen etc.), aber von gesellschaftlicher Relevanz kann mit Sicherheit nicht gesprochen werden. Da gibt es noch viel zu tun. Hier nur einige Beispiele:

Öffentliche Gelder:
Die Freie Improvisation ist eine Ausdrucksform, in der kompositorische und interpretatorische Aspekte im gleichen Moment zusammenfallen, eine „Kollektivkomposition“ ohne Vorgaben. Dass dies mit Arbeit, Proben etc. verbunden ist, scheinen viele Geldgeber nicht zu verstehen. Finanzielle Unterstützung für die kompositorische und/oder interpretatorische Arbeit gibt es in nur selten. Weiter werden fast unüberwindbare Hürden geschaffen, wie z.B. 5-7 Auftritte in kurzen Zeitabständen und in verschiedenen Sprachregion u/o Ausland. Zusätzlich kommt hinzu, dass unsere Konzertorte „zu geringe Resonanz“ haben und aus diesem Grund aus dem Raster fallen. Diese Form der (nicht) Unterstützung verhindert vertiefte und kontinuierliche Zusammenarbeiten. Was sich natürlich auch im Produkt niederschlagen kann.

Veranstalter:
Wie viele Veranstalter lassen sich auf die Freie Improvisation ein? Es ist immer noch eine verschwindend kleine Anzahl. Diese Musik ist nicht mehrheitsfähig, ähnlich wie gewisse Bereiche in der zeitgenössischen komponierten Musik (die zum Glück eine etwas „grössere“, aber leider immer noch viel zu kleine gesellschaftliche Relevanz hat), und bedarf deshalb besonderer Aufmerksamkeit und Vorsicht.

Schulen:
In den letzten Jahren wurde die Improvisation in den Hochschulen eingeführt (Bologna Reform). Improvisation ist ein sehr weites Gebiet, das ganzheitlich vermittelt werden sollte, also auch unter Miteinbezug der Freien Improvisation. Dies wurde zum Teil so umgesetzt, was ich als Erfolg betrachte. Trotzdem sehe ich noch viele Dozierende und Schulleiter, die von der Improvisation wenig/ keine Ahnung haben und sie deshalb im Unterricht nicht berücksichtigen, ja sogar als rotes Tuch betrachten.

Ich denke, dass gerade die gesellschaftliche Irrelevanz der Freien Improvisation zu vielen Missverständnissen, Vorurteilen und Unkenntnissen führt. Gesellschaftliche Relevanz kann nur durch ein breit abgestütztes Netz entstehen. Die Freie Improvisation (wie die Improvisation im allgemeinen) ist davon noch weit entfernt. Das macht die Arbeit schwierig und darum müsste genauer und vorsichtiger hingeschaut werden. Dein Artikel ist diesbezüglich nicht klärend, sondern schürt geradezu die Verwirrung.

Die Freie Improvisation wie die Improvisation wird wohl kaum aussterben, dafür ist sie zu lebendig. Mit verstärkter Hilfe von öffentlichen wie privaten Institutionen, Schulen, Medien etc. könnte sie aber aufblühen. Übrigens soll die Improvisation ja laut der „Kulturbotschaft“ des Bundes (im Rahmen des neuen Kulturförderungsgesetztes) gefördert werden. Welche Form der Improvisation werden wir ja sehen.
Wenn sich jedoch Kulturbeobachter, Kritiker, Institutionen von der zeitgemässen Kunst abwenden und dafür kein Verständnis zeigen, werden sie als erste Gefahr laufen auszusterben. Dies wäre eine verheerende Entwicklung. Italien lässt grüssen.

Herzlich
Daniel

TOMAS KORBER

Lieber Thomas,
Mit Befremden habe ich Deinen Text zum Tod der freien Improvisation zur Kenntnis genommen. Ich möchte ganz unsystematisch – als Denkanstoss so zu sagen – ein paar problematische Stellen des Artikels näher besprechen:

"Kommt hinzu, dass die wichtigsten Figuren 50+, ja teilweise sogar schon im Pensionsalter sind." – Bei allem Respekt, aber es scheint mir, als hättest Du das letzte Jahrzehnt, ja sogar einen Grossteil der 90er Jahre, schlicht verschlafen. Die Musiker, die Du im Artikel erwähnst, sind tatsächlich meist über 50. Nur sagt das mehr über dein mangelndes Wissen (oder Interesse) in Bezug auf aktuelle Entwicklungen in der freien Improvisation aus, als über den tatsächlichen Zustand derselben. Für eine Übersicht einiger der jüngeren Figuren, verweise ich auf meinen Text In Echtzeit: Improvisierte elektronische und elektroakustische Musik im soeben erschienenen Buch von Bruno Spörri Musik aus dem Nichts - Die Geschichte der elektroakustischen Musik in der Schweiz (dieser Text bezieht sich wohlgemerkt nur auf Musiker, die mit elektronischen Mitteln arbeiten).

"Ob sich freilich die Improvisatoren im STV vertreten fühlen? Jedenfalls dürfte ihnen in dieser Umgebung oft wohler sein als im Pop-Bereich, in dem sie zuweilen subventionsmässig landen. Das Verständnis ist innerhalb der Neuen Musik grösser." – Deine Fokussierung auf den Bereich der freien Improvisation, der sich aus der Neuen Musik entwickelt hat oder sich dieser inhaltlich resp. historisch stark verbunden fühlt, dürfte einer der Gründe sein, weshalb Du wichtige neue Entwicklungen übersehen hast. Freie Improvisation in ihrer jetzigen Form zeichnet sich gerade durch die Pluralität der musikalischen Hintergründe ihrer Akteure aus. Was ich damit sagen will: Viele der aktiven Musiker fühlen sich 'populären' Musikformen (Rock, Pop, Techno, usw.) genauso verbunden, wie der Neuen Musik.

"Bedeutet das nun, dass freie Improvisation nur noch ein Ausdrucksmittel unter anderen ist?" – Ja, und was wenn dem so wäre? Was heisst 'nur noch'? Ich selber gehöre zu jenen Musikern, die Improvisation immer schon in erster Linie 'bloss' als Arbeitsmethode (äquivalent zu Komposition) verstanden haben, also frei jeglicher Ideologie. Andere Kollegen sehen darin eine grundsätzliche Haltung, wiederum andere sogar eine umfassende Lebensphilosophie. Wichtig scheint mir, dass all diese verschiedenen Einstellungen und Backgrounds nebeneinander Platz haben. Freie Improvisation kann vieles sein, Definitionen scheinen überflüssig, die Grenzen sind sowieso fliessend und in ständiger Bewegung.

"Fraglich ist allerdings, ob innerhalb der freien Improvisation nicht der drängende Wunsch nach dem Diskurs fehlt, nach der Formulierung einer Ästhetik, dem Nachdenken – und das ist einer der Gründe, warum selbst in Fachzeitschriften wie der dissonance vergleichsweise selten darüber reflektiert wird." – Der Wunsch nach dem Diskurs fehlt keineswegs, unter Musikern schon gar nicht, wie mir meine täglichen Erfahrungen zeigen. Jedoch hat sich der Diskurs in der Öffentlichkeit durch die in den letzten zwei Jahrzehnten aufgekommenen Technologien (a.k.a. Internet) eindeutig verschoben. Einige Beispiele von Blogs und Foren in denen rege (für meinen Geschmack manchmal sogar zu rege) diskutiert wird, findet sich z.B. in dieser Linksammlung: http://www.thewatchfulear.com/?page_id=146. Auch in einer Fachzeitschrift wie dissonance würde öfter darüber reflektiert, wenn man denn Autoren beauftragen würde, die tatsächlich etwas über das Thema zu sagen haben.
Zusammenfassend: Die Frage ob man die freie Improvisation für tot erklärt oder sie für eine lebendige Kunstform hält, ist für mich im Wesentlichen ein definitorisches Problem: Wird sie als musikalisches Genre verstanden, ist sie womöglich tatsächlich schon lange tot. In der meiner Meinung nach weitaus relevanteren Auslegung als Spielhaltung oder Arbeitsmethode ist sie dies keineswegs.
Freundliche Grüsse,

Tomas Korber

GABOR KANTOR

Lieber Herr Meyer!
Ich bin gesamtschweizerisch gesehen nur eine kleine Nummer, betreibe einen CD-Laden in Luzern, und organisiere seit bald 6 Jahren monatlich ein Konzert, Hauptgewicht Improvisierte Musik. Keiner der von Ihnen erwähnten Namen hat hier gespielt, denn sie gehören, wie Sie am Anfang Ihres Artikels erwähnen, zur bereits gestandenen Garde, also zu den Pionieren. Es sind die Jüngeren, die bei mir auftreten
die die Idee Improvisation auf alle möglichen Arten weiterziehen. Und es gibt sie durchaus auch im Bereich der Stimme, mit oder ohne Wörter (z.B. Isa Wiss oder Andreas Scherrer).
Die Liste aller improvisierender junger schweizer MusikerInnen wäre unendlich.
Es scheint mir verwegen, nach dem Wert von etwas zu fragen, wo die Jungen längst
weiter gegangen sind, und immer von Neuem die improvisierende Musik-Sprache erfinden.
Alles Andere war wichtig, zum Glück hat es alles Vorherige gegeben,
aber zuzuhören, mit wie viel Freude der Nachwuchs musiziert, ist jetzt viel wichtiger.
Die Zukunft der improvisierten Musik hat erst begonnen, man muss die Ohren dafür offen halten, und in die unzähligen, schweizweit existierenden kleinen nichtkommerziellen Lokale gehen.

Mit den besten Grüssen

CHRISTIAN KOBI

Wenn ich mich umsehe, beobachte ich eine lebendige junge UND alte Szene. Dies in Form von Organisationen (Assocation Rue du Nord Lausanne, Mullbau Luzern, Tybolin Biel, etc.) oder Festivals (EAR WE ARE Biel, Cave12 Genf, zoom in Bern, etc.). Es gibt sie, diese frei improvisierte Musik in der Schweiz, die sich weiter entwickelt. Ja, es wird gejammt, es wird aber auch reflektiert, über Gespieltes gesprochen, um ständig im Fluss zu bleiben – um Qualität zu erzielen. Konkret ist es angewandte Forschung am Instrument/der Stimme. Für diese Entwicklung ist das mit Einbeziehen von anderen Kunstformen (Tanz, Film u.s.w.) nicht zwingend, oft wird diese Vernetzung von Interdisziplinarität zu einem Versteckspiel. Hier teile ich auch die Aussage von Alfred Zimmerlin (Interview in der dissonance #111 09. 2010) nicht.
Improvisiert wurde immer. Die frei improvisierte Musik ist in ständiger Bewegung. Sie war noch nie so reich an neuen Tendenzen, ohne sich an Moden und Trends zu orientieren. Lebendig ist sie, selbst organisierend und dies ohne Zwänge oder von sozialen Hintergründen abhängig. Gut, dass sie nicht einzuordnen ist. Desswegen ist für mich die freie Improvisation kein Stil, für mich ist sie eine Lebenshaltung, die weiter treibt.
Christian Kobi, Bern

LUCAS NIGGLI

Die Freie Improvisation lebt mehr denn je!

Eine Replik auf Thomas Meyers Artikel Ist die freie Improvisation am Ende? (dissonance 111, September 2010)

Lieber Thomas,
es ist ein Vergnügen in der erfrischten dissonance die Schwerpunktartikel zur Freien Improvisation zu lesen. So auch Dein Versuch die Improvisationsszene der Schweiz etwas polemisch in den Sarg zu verfrachten. Du bittest um Widerspruch. Bitte!
Leider bin ich mehr als irritiert ab dem Inhalt Deines doch etwas nostalgisch-motivierten Abgesangs auf die Freie Improvisation, dem, wie Du Dich selbst verdächtigst, tatsächlich ein mittelalterlicher Mief anhaftet. Fast alle Beispiele, die Du nennst, alle Musiker, die Du aufzählst, alle Ereignisse, die Du erwähnst sind entweder aus Deiner Generation oder haben zwischen 1990 und 2000 stattgefunden. Am meisten aber irritiert mich, dass Dir – als von mir sehr gern gelesener Musikkenner und -schreiber – der «Anfängerfehler» unterläuft: Du willst die Freie Improvisation als einen musikalischen Stil hören, was sie doch überhaupt nicht ist. Wie wir an einer der erwähnten und leider nicht mehr stattfindenden Tagungen in Luzern ausführlich diskutiert haben, ist sie in erster Linie eine musikalische, oder besser: künstlerische Haltung !
Was wir Improvisatoren, die, wie es Jacques Demierre sehr treffend ausdrückt, die volle Verantwortung für die Musik übernehmen wollen, wirklich nicht brauchen, was aber zynischerweise in Deinem Text als Dogma daherkommt, ist dieses Verlangen nach einer reinen , «undogmatischen» Musizierweise. Da muss ich mich als Interpret von Komponisten aller stilistischer Herkunft – hier darf ich wohl das Wort Stil brauchen – und als «freier» Improvisator auf möglichst allen Bühnen der Welt doch vehement gegen diese Einengung wehren. Wir wollen nicht soweit kommen, dass wir uns von Dogmen der Freien Improvisation, wie Du Sie herbeianalysierst, befreien müssen, wie es vielleicht die Free Jazzer Ende der sechziger Jahre tun mussten.
Du schreibst von: « Anklänge vermeiden», «Die Herausforderung fremdes Material ins eigene Musizieren zu integrieren» – und fragst: «Ist die freie Improvisation nur noch ein Ausdrucksmittel unter anderen?» Das Zitat aus einem Gespräch mit Christoph Baumann zur «Befreiung der Ideologie der Freien Improvisation» nimmt doch diese meine Replik bereits vorweg und hätte Dir Antithese genug sein sollen.
Irgendwie hast Du nicht mitgekriegt, dass dank einiger in Deinem Artikel erwähnten Protagonisten und Vorkämpfer dieser Musizierhaltung (darunter für mich wichtige Lehrer) ein Selbstverständnis an zahlreiche in der Schweiz lebende Musiker der jüngeren Generation – egal ob mit akademischem Hintergrund und/oder mit Rock, Jazz oder Noise sozialisiert – weitergegeben wurde? Ich zähle mich als Kind des «anything-goes» klar dazu, bin in vielen Ohren ein «Hansdampf-in-allen-Stil-Gassen», will aber immer die Verantwortung übernehmen und mich frei in der Musikwelt bewegen, egal ob notiert, konzipiert, improvisiert, rezykliert oder welche Arbeitsweisen auch immer verlangt werden – und darin widerspiegelt sich eine Lust, und mittlerweile wohl auch eine Fähigkeit vieler jüngerer Musiker, die Du allesamt nicht erwähnst oder einfach nicht kennst: eine Lust, die Improvisation als verantwortungsvolle Künstler zu leben; ein Haltung eben. Oder wie es Olaf Rupp (ein Gitarrist aus Berlin) formuliert: «Wir ‹Unverwurzelte› sehen das nicht als Genre-Problem, sondern als Chance zur musikalischen Freiheit.»
Um eine Antwort auf Deine Frage zu erhalten, ob die Freie Musik heute nicht gleich klingt wie vor zwanzig Jahren, hättest du vielleicht anstelle des Konzerts der hochgeschätzten Kollegen der «Gründergeneration» an ein Konzert von Twopool (Jonas Tauber, bass; Christian Wolfarth, percussion; Andrea Oswald, alto saxophone; Andreas Tschopp, trombone) oder von Mersault & Nate Wooley (Tomas Korber, electronics, guitar; Christian Weber, bass; Christian Wolfarth, percussion) gehen sollen – um nur zwei Konzerte des aktuellen Oktober-Programms der WIM Zürich zu erwähnen. Oder ein Konzert am Echtzeitmusik-Festival in Berlin. Oder eines der zahlreichen Konzerte der improvisierenden Musiker um Cor Fuhler und Anne La Berge in Amsterdam. Diese Liste könnte ich ausführlich weiterführen, auch als klare Antwort auf Deine Frage: «Ist die freie Improvisation am Ende?»
Kommen wir zum Thema der «Nichtvermittelbarkeit» freier Improvisation – ein möglicher Widerspruch zu ihrer Installation als Pflichtfach an den Musikhochschulen? Es ist doch wunderbar, dass alle Musikstudierende in Ihrer Ausbildung zu welchem Spezialistentum auch immer das Fach «Improvisation» belegen müssen. Als frischgebackener Dozent an der ZHdK wage ich noch keinen Ausblick dazu, bin aber dank zwanzig Jahren Bühnenerfahrung (bitte, inklusive intensiver Backstage-Post-Konzert-Reflexion!) guter Dinge, da einiges auslösen zu können. Auf dass sich die Frage der Unvermittelbarkeit durch gelebte Praxis relativiere. Die Freie Improvisation kann man, wie einige Dinge im Leben, nur durchs Tun lernen. Das Experiment, der Versuch lebt.
Erinnerst Du Dich, wie Du mich vor zwanzig Jahren in Boswil interviewt hast? Leider hatten wir kaum die Gelegenheit unsere Positionen gegenseitig ajour zu halten. Holen wir dies jetzt doch nach, aber bitte verschon mich mit der Totengräberstimmung oder mit dem «die Revolution hat stattgefunden». Da und dort riecht sie sicher streng, die Freie Improvisation, um sinngemäss Frank Zappa zu zitieren. Und diese Musikform kann und will nicht immer gelingen, dieses Risiko wollen wir ja gerade eingehen! Diese «Revolution» findet doch tagtäglich im Kleinen statt, im Kampf gegen die Routine. Und ich wage zu behaupten, dass es nicht so eine verrückte Revolution war, wie Du vermutest, diese Etablierung der Freien Improvisation. Ist sie doch seit eh und je das Lebenselixier aller einigermassen kreativ wirkenden Musiker, ob Komponisten, Interpreten, Dirigenten, Lehrer oder verantwortungsvolle Improvisatoren. Nur hat sie in den letzten zwanzig Jahren glücklicherweise massiv an Status, Selbstverständnis und Differenzierung gewonnen. Da brauchen wir sie nicht – ihrer Unübersichtlichkeit wegen – wieder tot zu schreiben.

Lucas Niggli

23/09/2010

GAUDENZ BADRUTT

Zum Artikel 'Ist die freie Improvisation am Ende?' von Thomas Meyer, Dissonance no111

Den Inhalt des Artikels finde ich äusserst problematisch.
Drei Punkte möchte ich hiermit bemerken (es würde noch Weiteres zu bemerken geben...)

- Meiner Meinung nach wird der Begriff 'Freie Improvisation' zu eng betrachtet - Freie Improvisation hat sich nicht nur vom Free Jazz entfernt etc., sondern das Verständnis für den Begriff hat sich verändert, da sich die Freie Improvisation auch in den letzten Jahren und der Gegenwart weiterentwickelt und bewegt; die Spielhaltung hat sich geändert, formale und klangliche Ansprüche haben sich geändert, …
- Meiner Meinung nach hat dies auch mit Folgendem zu tun: Im Artikel geht ein grosser Teil der Szene vergessen! Es geht nicht, die Entwicklung der improvisierten elektronischen und elektoakustischen Musik der letzten Jahre und der Gegenwart auszublenden. Ich denke, dort ist ein radikaler Weg u.a. weitergegangen und wurde im Laufe der Zeit auf die akustischen Instrumente 'zurückgeworfen', sodass auch die freie Improvisation mit akustischen (und elektronischen) Instrumenten andere Spielhaltungen etc. gefunden hat (bzw. am finden ist).
- Warum wird die jüngere (und aktive) Szene der freien Improvisation' nicht wahrgenommen? Zitat: "Ist eine jüngere Generation nachgerückt, die eine ähnliche Spielhaltung mit neuen Möglichkeiten verbindet? Darüber wäre nachzudenken." Darüber wäre nicht nachzudenken, sondern es ginge darum, diese wahrzunehmen. Vorausgesetzt man beachtet die Veränderung des Bergiffverständnisses von 'Freier Improvisation'. Dies hat selbstverständlich auch damit zu tun, dass wir uns in einer Nische bewegen bzw. in eine Nische bewegt werden. Das Interesse der Bevölkerung wäre eigentlich vorhanden (man beachte z.B. Konzerte in Kunstmuseen, wo ein durchaus anderes (und interessiertes!) Publikum vorzufinden ist als an einem 'normalen' Konzert), aber schwierig zu erreichen. Abgesehen davon passiert oft gerade in Nischen Wichtiges.

Fazit des Artikels, für mich persönlich betrachtet: Laut diesem Artikel existiere ich als improvisierender Musiker eigentlich gar nicht.

Das Thema ist sehr komplex - ich kann deshalb schriftlich lediglich zu wenigen Punkten etwas bemerken.

Gaudenz Badrutt

JONAS KOCHER

Cher Thomas,

Chaque lecture de ton article 'ist die freie improvisation am ende?' me reste de plus en plus en travers de la gorge.

Je ne comprend pas comment l'on peut écrire un article pareil en 2010. À la rigueur au milieu des années 1990, il aurait été plus ou moins en phase avec son époque. Cela fait un moment que les idées de 1968 ont disparues de la vie des gens ou se sont transformées, donc c'est logique que la musique improvisée issue de cette époque fasse aussi partie de l'histoire! La pratique de la musique improvisée actuelle est par contre complètement en phase avec son époque et constitue une alternative essentielle et vitale à des modes de vie et de consommation distordus, tels que nous les vivons chaque jour. Cette pratique questionne des modes de fonctionnement sociaux et de consommation, comme aucune autre pratique musicale ne le fait et ne peut le faire! D'un point de vue esthétique, elle a été fortement influencée par l'avènement de l'électronique, cela non seulement dans le matériau utilisé mais aussi dans les formes, les timbres et les temporalités et reste un vaste champs d'expérimentations sonores, bien plus riche et aventureux que la majorité des musiques écrites.

Tu as beau dire que le titre provocateur n'est pas de toi, bon. Mais tu mentionne le présent d'une pratique dans le sous-titre (le sous-titre est-il aussi de quelqu'un d'autre?)
Or, tu fais la négation de toute une génération de musiciens actifs et établis présentement en Suisse-alémanique comme en Suisse-romande, cela bien plus que pendant les années 1990.
Des musiciens engagés et conscients du rôle de leur musique dans la société et de ce qu'elle représente en tant que recherche sonore et artistique.

Pourquoi cette négation de tout un nombre de musiciens?
Par provocation? Triste et déplacé.
Par méconnaissance? Triste et inquiétant.

Je dois te dire que l'on se sent complètement mis de côté, insignifiants, inexistants.

À part toi, presque personne n'écrit sur la musique improvisée en Suisse, j'attendais autre chose de ta part, un intérêt réel pour le travail de ces musiciennes et musiciens, une envie de découvrir la richesse de toutes ces pratiques plus vivantes que jamais!
Ton article m'apparaît comme dangereux car il a déjà servi de référence et pourrait fausser encore bien des avis et des décisions politiques et culturelles. La musique improvisée étant tellement mal connue et mésestimée, c'est d'autant plus facile de s'en décharger en prenant appuis sur ton article.

Les musiciens ne vont pas venir vers toi pour parler de leur travail, c'est à toi de sonder la scène, de sentir et découvrir ce qu'il s'y passe. Je ne suis pas journaliste mais il me semble que c'est là la moindre des choses à faire quand on veut couvrir un sujet et que de plus, l'on sait que l'on est pratiquement le seul à le faire dans ce pays!

Quant au manque de volonté des musiciens d'analyser et de théoriser leurs pratiques, cela est faux. Il existe en Europe des revues, des livres ainsi que des musicologues et journalistes compétents qui écrivent sur ces musiques. Il est vrai qu'en Suisse, il n'y a pratiquement rien de semblable. Mais il suffit juste de regarder un peu plus loin que nos frontières pour s'apercevoir que les musiciens parlent et écrivent sur leurs pratiques et que d' autres formes plus appropriées que la musicologie et l'analyse classique sont employées pour rendre compte de cette musique.

La musique improvisée suisse ne se limite pas seulement à KARL ein KARL (dont je respecte beaucoup le travail, par ailleurs) et au WIM Zürich.
Ton article ne rend pas compte de la réalité, de plus il l'ignore et ne la mentionne même pas! Cela est grave, Thomas.

J'ai toujours été a ta disposition pour éclairer ta lanterne, Jacques Demierre t'as également orienté vers un certain nombre de musiciens de la jeune génération. Tu avais toutes les cartes en mains, or tu n'as pas bougé. Qu'est-ce que cela signifie? Au lieu d'un article qui se veut provocateur (je préfère croire à cela qu'à de l'ignorance), tu aurais pu te faire la voix d'une génération active et engagée, autant en Suisse qu'à l'étranger. Ta provocation ne fait que desservir les intérêts d'un nombre conséquent de musiciens et pas seulement ceux de la jeune génération.

Cordiales salutations,
Jonas Kocher