06/10/2010

OMRI ZIEGELE

Zu fragen wäre erstmal, wie viel Kompetenz einer braucht, um solch grosse Frage zu stellen. Die Frage, die jener auf dem Fuss folgt, wäre diejenige, ob diese grosse Frage sich nicht längst selbst erledigt hat, selbst tot ist, oder wievielmal muss man eigentlich den Jazz für tot erklären, den RocknRoll, die Kunst an sich, wievielmal muss man mit Pathos in der Brust ausrufen, dass dieses oder jenes nicht mehr lebendig ist, keine Substanz mehr hat, ausgelutscht, zu Ende geschrieben, -geblasen ganz und gar von nichtiger Bedeutung? Bird lives! Wer so totalitär fragt, setzt sich selbst dem Verdacht aus, dass es um seine Vitalität, seine vitale Teilnahme am Geschehen um sich herum nicht mehr zum besten bestellt ist; wer so grossspurig fragt, muss gewahren, dass der Verdacht, den er ausspricht, sich auf ihn selber richtet...

Natürlich darf Thomas Meyer fragen; denn gute Fragen sind gemeinhin immer Bereicherung der Kultur. Nur wer schlechte Fragen stellt oder falsche, muss gar nicht auf Antwort warten. Fragen nach dem Totsein dieses oder jenes Stiles sind obsolet, vorgestrig und langweilig. Musik, Kunst, Ausdruck ist dort lebendig, wo lebendige Menschen sich auseinandersetzen mit Ihrer Zeit, Ihrem Leben und Ihrer Kunst. Wer ein Leben lang nach Antworten auf schwierige Fragen sucht, bleibt lebendig und als Künstler aussagekräftig. Ich frage deshalb nicht, spielt der oder die frei, macht der Bebop, ist sie Impressionistin, ich frage, wie stark ist die Relevanz seiner Aussage für meine Zeit und darüber hinaus für alle Ewigkeit (Amen). Long live RocknRoll! Und da kann einer (oder eine) daherkommen und sich sein Rüstzeug geholt haben, wo immer er will; da wo es keine massgebenden Stile mehr gibt, keine einheitliche Vorhut mehr(einst kämpferisch Avantgarde genannt), lebt die Kunst in den einzelnen Zusammenhängen; in den Zusammenschlüssen von Besessenen, glücklichen Fügungen von Momenten und Überlappungen von Disparatem, einst Unvereinbarem; keine Kunstart kann sich für die Ewigkeit selber alimentieren, doch immer wieder kommen Junge, Neue, mit naturgemäss denselben Fragen wie die Alten, um dann den Antworten, die es schon gibt, eine neue Färbung beizumischen, einen neuen Glanz. Long live Satchmo. Mehr kann freie Musik nicht, Rocknroll nicht, aber auch nicht die Literatur oder die Oper. Wir leben in einer Zeit, in der alle Experimente gemacht wurden --- machen wir sie!!

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Johann Sebastian lives! Etwas anderes beunruhigt mich weit mehr als Thomas Meyers Artikel: Ein Gespenst geht um in Europa, seit den 60er Jahren, damals hörte es noch auf den Namen FREE JAZZ. Wenn es heute nur diesen (vergleichsweise harmlosen) Artikel braucht, um die Stimmen zu mobilisieren, die ressentimentgeladen und als hätten sie schon lange auf diesen günstigen Moment gewartet, rufen: Nieder mit der Freien Musik, dann gemahnt das mich an einen Kleinmutgeist, den ich in diesem Lande längst überwunden glaubte. Wenn Institutionen, die die Künste fördern, jetzt Rückzüge machen und Personen, die in der Öffentlichkeit schreiben, diese Art (welche?) von Musik niederkläffen, dann beschämt und bestürzt mich das.
Denn (Elvis lives!): Improvisation ist der Anfang und das Ende jeder Musik; wer hat schon komponiert, ohne auszuprobieren und herumzutüfteln, wer hat schon wahrhaftig gespielt, ohne diese Lust zu kennen, die einem der offene Raum zwischen zwei Tönen biegsam gewährt, seien diese notiert oder vom Winde herbeigebracht; und seien die Noten auch nur 1/32tel voneinander entfernt?! --- Es lebe Albert Ayler!

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I always wanted to play what’s inside of me and what came across the air, whether you may give it a name or not.

Omri Ziegele, im Oktober 2010

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