07/10/2010

WALTER FAEHNDRICH

Lieber Thomas

Zuerst möchte ich Dir danken dafür, was Du seit Jahren für uns Improvisatoren und für die Improvisationsszene im allgemeinen Gutes und Nützliches getan hast. Du hast Dich immer wieder für uns eingesetzt und in verschiedenen Medien der Improvisation ein Forum gegeben. Deine grossen Verdienste in dieser Hinsicht waren und sind sehr wertvoll und absolut unbestritten.

Mit Deinem Artikel in Dissonanz hast Du Dich nun aber so weit aus dem Fenster gelehnt, dass Du abgestürzt bist. Der Artikel ist leider dermassen voll von faktischen Fehlern, fundamentalen Missverständnissen und Informationslücken, dass ich eigentlich nicht darauf eingehen wollte.
Nachdem ich nun aber auch noch Deine Replik auf die Reaktionen von meinen Improvisationskollegen gelesen habe, und meine Verärgerung dadurch eher noch stieg, kann ich jedoch nicht anders, als, schweren Herzens, auch zur Feder zu greifen, um ganz kurz zwei Dinge klarzustellen:

1. Der improvisierten Musik geht es blendend. Sie ist durch und durch gesund, vital, strotzt vor Kraft und ist an allen Ecken und Enden in Bewegung. Es ist eine Freude, zu sehen, wie das Improvisieren immer mehr an Terrain gewinnt und sich zunehmend und unüberhörbar in Szene setzt. Diese erfrischende und gleichzeitig tiefe Einsichten in die fundamentalen Prozesse des Musik-Entstehens ermöglichende Musizierform wird auf breiter Ebene immer mehr geschätzt und ernsthaft gepflegt.
Das gilt übrigens auch für deren Vermittlung an den Hochschulen (an der Musikhochschule Basel gibt es seit 2003 sogar ein Masterstudium mit dem Studien-Hauptfach Freie Improvisation) und es gilt auch für die Reflexion über das Improvisieren (im Amadeus-Verlag sind zwischen 1992 und 2007 sechs Bände (Improvisation I - VI) mit gesamthaft über 70 Beiträgen verschiedener Autoren zu diesem Thema erschienen).

2. Der Artikel in Dissonanz sagt zwar kaum Relevantes aus über die Situation der Improvisation, sehr viel jedoch über den Zustand, in dem sich die Berichterstattung darüber befindet. Leider ist er typisch für die Art und Weise, wie diese sich der Schubladisierung entziehende Musizierweise von aussen wahrgenommen wird und für das unzulängliche Niveau, auf dem meist darüber berichtet wird. In Anbetracht dessen müssen wir froh sein darüber, dass die Arbeit von uns Musikern mit den ahnungslosen Äusserungen von Aussenstehenden nichts zu tun hat.

Liebe Mitmusiker, lasst uns weiter musizieren und von innen über unsere Arbeit reflektieren wie bisher. Lassen wir uns von missglückten journalistischen Statements nicht verunsichern und halten wir uns an das berühmte Motto:
Die Berichterstattung über das Improvisieren hat für die praktischen Musiker meist die gleiche Bedeutung wie eine ornitologische Abhandlung für das Liebesleben der Vögel.


Mit trotzdem herzlichen Grüssen,

Dein Walter Fähndrich

Brissago, 6. Oktober 2010


P.S. Was für ein Volltrottel hat Dir eigentlich diesen Titel aufgedrängt?

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