29/09/2010

MATTHIAS SPILLMANN

Als Jazzmusiker mit offenem Geist (Selbstdeklaration) zur einer Schnittmenge von Jazz und Improvisierter Musik gehörend blicke ich sozusagen vom Rand auf die improvisierte Szene. Eine seltene Perspektive. Mit Interesse habe ich den Artikel von Thomas Meyer und die zahlreichen Reaktionen gelesen.

Auch mich beschlich gelegentlich schon das Gefühl, dass 2010 ein Stil «improvisierte Musik» existiert, dem ein feiner Modergeruch anhaftet. Das empfinde ich jedoch gar nicht als weiter beunruhigend, die Verwesung hat ja bereits eingesetzt. Wie von zahlreichen Diskussionsteilnehmern vor mir bereits dargelegt, hat jedoch die Haltung der freien Improvisation nichts an Aktualität, geschweige denn an Breitenwirkung verloren. (Nebenbei kann, was noch viel weniger bekannt ist, auch Jazz eine Haltung sein.)

Einen für mich interessanten Punkt möchte ich jedoch noch ansprechen: Im selben Abschnitt wird z.B. moniert die Improvisation sei ja jetzt Studienfach an Hochschulen und gehöre deshalb nicht mehr zum «Underground» oder zur «Avantgarde» (per Definition der einzige Ort, wo «echte» Kreativität stattfindet?), sondern zum «Mainsteam» um wenig später mangelnde gesellschaftliche Relevanz zu beklagen. Was für ein Widerspruch! Mir soll mal jemand, der es zu wissen glaubt, erklären, wo sich der Underground befindet und Mainstream ist wohl die Volksverdummung, die diverse Fernsehstationen und Gratiszeitungen täglich betreiben. Dort findet tatsächlich weder Improvisierte Musik, noch Jazz, noch zeitgenössische Musik statt, aber es gibt zum Glück noch andere gesellschaftlich relevante Orte. Bei der stark segmentierten modernen Gesellschaft sind die Begriffe Mainstream und Underground wohl kaum mehr ausreichend.

Ähnliche Gedankensprünge zum «Ende der Geschichte» kann man übrigens bei Kulturpessimisten in verschiedensten Musik- und Kunstsparten beobachten. Tatsächlich ist die improvisierte Musik so breit und vielfältig wie nie zuvor und der gesellschaftliche Einfluss deshalb grösser denn je. Allerdings gibt es niemanden mehr, der die Deutungshoheit beanspruchen könnte. Liegt da vielleicht der Kern des Problems?

Daneben glaube ich, dass sich das Gebot des «Widerstands» (gegen das «System»?) der «50+» Generation oder jeder selbsternannten Avantgarde vom Gebot der Stunde zur Ideologie und letztlich zur Pose gewandelt hat. Mitglieder jüngerer Generationen werden wohl Widerstand leisten, wenn sie es für nötig halten, nicht immer wird das die ältere Generation aber auch erkennen, geschweige denn anerkennen.

Matthias Spillmann

Aucun commentaire:

Enregistrer un commentaire